Würfelt Gott?

Die Quantenphysik kann ein guter Ausgangspunkt sein, um über Freiheit, Gott und die Seele nachzudenken. Mit diesem Approach trafen sich in London Forscher und Studenten aus neun Ländern und dachten darüber nach, ob und inwieweit die Welt durch Zufall, freien Willen und Evolution gestaltet wird.

Der naturwissenschaftliche Fortschritt macht nicht nur das Leben einfacher. Wenn er mit einer philosophischen Reflexion einhergeht, kann er auch dazu beitragen, dass der Mensch sich selbst, sein Wesen, besser versteht.

Eine solche ganzheitliche Sicht des wissenschaftlichen Fortschritts war auch das Anliegen des „interdisziplinären internationalen Seminars“. Dieses Seminar ist ein Zusammenschluss verschiedener akademische Vereine, die sich jährlich treffen, um die Bedeutung neuer Entdeckungen in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft zu erörtern. Es fand heuer bereits zum 15. Mal statt, diesmal in Netherhall House, einem vom Opus Dei inspirierten Studentenhaus in London.

Ingenieure, Biologen, Physiker, Mathematiker, Informatiker, Philosophen und Rechtswissenschaftler von verschiedenen Universitäten tauschten ihr Wissen und ihre Meinungen aus. Das weit gefasste Thema war: „Würfelt Gott? Evolution, Zufall und Intelligenz in der Natur“ (Does God play dice? Evolution, Randomness and Intelligence in Nature).

Wir befragten Antoine Suarez und Lorenzo De Vittori vom Zentrum für Quantenphilosophie in Zürich zur Veranstaltung.

Weshalb das Thema “Würfelt Gott”?

Der Titel bezieht sich auf ein bekanntes Zitat Albert Einsteins, der damit die Quantenphysik in Frage stellte. Die Quantentheorie impliziert, dass es nicht deterministische Phänomene gibt, d. h. Phänomene, die nicht durch materielle oder beobachtbare Ursachen erklärt werden können. Dagegen protestierte Einstein, der am Determinismus festhielt, mit dem Satz: “Gott würfelt nicht!”. Wenn aber die Welt deterministisch ist, dann gibt es keinen Raum für die Freiheit. Deshalb ist dieses Thema nach wie vor sehr aktuell.

Was für ein Profil hatten die Teilnehmer?

Die 60 Studenten, Forscher und Professoren, kamen aus neun verschiedenen Ländern: Großbritannien, Irland, Holland, Italien, Schweiz, Kroatien, Frankreich, Kanada und Taiwan. Es gab noch mehr Interessenten, aber mangels Unterkunftsplätzen war die Teilnehmerzahl beschränkt. Das Durchschnittsalter lag bei 25. Es waren Vertreter der meisten Wissenschaften mit dabei: aus Physik, Mathematik, Ingenieurwesen, Biologie, Medizin, Statistik, Informatik, sowie auch Philosophie, Rechtswissenschaften, Politikwissenschaften und Kunst.

Studenten der Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Biologie, Physik, Philosophie… Was motivierte sie dazu, an dieser Tagung teilzunehmen?

Ihr Interesse für die Freiheit. Es sollte aufgrund von wissenschaftlichen Experimenten und mathematischen Erkenntnissen eine Welt beschrieben werden, in der Freiheit möglich ist. – Ein weiteres Ziel war die Förderung der Kommunikation zwischen den verschiedenen Disziplinen.

Was waren die wichtigsten Diskussionspunkte?

Die philosophischen Folgerungen aus der Quantenmechanik und der mathematischen Grundlagenforschung, die Spannung zwischen Evolution und Schöpfung, die Bedeutung des “Quantenzufalls” für die Möglichkeit von Freiheit, die Beziehung zwischen der geistigen Seele und dem Gehirn sowie die Definition des Todes.

Und welches sind die wichtigsten und originellsten Ergebnisse?

Ein erster origineller Schluss war die These, dass sich die philosophische Konzeption von Thomas von Aquin mit neuen quantenphysikalischen Experimenten harmonisieren lässt. Diese Experimente wurden von unserer Zürcher Gruppe (Lorenzo De Vittori und Andreas Schwab) und von den Vertretern aus Zagreb (Vuko Brigljevic und Roko Plestina) vorgestellt. Sie zeigen die Existenz von Phänomenen, deren Ursprung oder Ursache sich jenseits von Zeit und Raum befindet und damit immateriell ist. Dies erlaubt es, die Seele wieder als substanzielle Form des Körpers zu begreifen. Die für die spontanen Bewegungen unseres Körpers notwendige Energie spielt die Rolle der Materialursache; die Seele ihrerseits wirkt als Formalursache auf der Ebene der Wahl (von ihr her wird z. B. bestimmt, ob das Subjekt rechts oder links geht). Juleon Schins (Delft) prägte in diesem Zusammenhang den Begriff „Quanten-Hylemorphismus“. Wir haben versucht, diesen Ansatz für die Definition des Todes heranzuziehen, was sich als recht vielversprechend herausgestellt hat.

Cesare Stefanini und Federico Favalli (Pisa) verglichen die menschliche Kreativität mit der potenziellen Autonomie von Robotern. Es müsse aber noch viel getan werden, um eine befriedigende Beschreibung der Beziehungen zwischen Seele und Gehirn zu bekommen.

Ein anderes interessantes Ergebnis war die “positive” Sicht des Zufalls, die von den Delegationen aus Holland (Alfred Driessen, Daan van Schalkwijk) und aus Zürich vorgeschlagen wurden. So etwas wie „blinden Zufall“ gebe es nicht, er sei vielmehr das Resultat einer intelligenten und freien Ursache. Der Zufall sei wie der Spielraum, den Gott im Mechanismus der Welt zulässt, damit er nicht zu starr sei und freie Bewegungen gestatte, wie die Bewegungen meiner Finger, durch die ich meine Antworten in diesem Interview in die Tastatur tippe.

In gewisser Weise kann der Zufall mit der “ungeformten Erde” oder dem Urstoff verglichen werden, die Gott laut der Bibel im Anfang schuf. Diese Sicht wirft ein interessantes Licht auf die Evolutionstheorie.

Evolution stößt heute auf großes wissenschaftliches, philosophisches und religiöses Interesse. Gab es auch darüber Statements?

Natürlich hat dieses Thema in unseren Diskussionen eine wichtige Rolle gespielt. Mit Bezug auf die gegenwärtige Debatte über Evolution und „Intelligent Design“ haben Mark Fox (Sheffield), Leslie Tomory (Toronto), Jimmy Bakker (Dublin) und Andrea Manazza (Turin) unterstrichen, dass es zwischen Schöpfung und Evolutionstheorie keinen Konflikt gibt. Jean-David Ponci (Lausanne) betonte, dass, wenn man den Zufall in der Evolution nicht im Sinne des Quantenzufalls versteht, die Evolutionstheorie deterministisch bleibt und der Freiheit keinen Platz lässt.

Die Ökonomen Ed Tredger (London) und Jan Everhard Renaud (Amsterdam) haben den Begriff des Zufalls analysiert, während der Physiker Peter Adams (London) feststellte, dass Gott sich der Wissenschaft zwar nicht einfach offenbart, dass aber eine quantitative Beschreibung der Welt unvollständig ist und deshalb auf nicht-quantitative Erklärungen hin offen bleiben muss.

Ebenfalls sehr interessant war die von der italienischen (Max Berti, Rocco Tarchini) und der schweizerischen Gruppe vorgestellte „mathematische Perspektive“: Grundlegende mathematische Theoreme (Gödel, Turing) zeigen, dass die menschliche Vernunft nicht auf einen mechanischen Prozess reduziert werden kann und in diesem Sinne nicht materiell ist.

Darüber hinaus zeigen diese Theoreme, dass das menschliche Denken niemals alle mathematischen Wahrheiten enthalten wird. Wenn Mathematik, wie Kant sagt, ein Apriori ist, d. h. rein geistig und unabhängig von der sinnlichen Erfahrung, dann folgt daraus, dass Mathematik ihren Ursprung in einem allwissenden Geist hat, der den menschlichen Denkfähigkeiten weit überlegen ist. Ironischerweise scheint Kants Sicht der Mathematik in der „Kritik der reinen Vernunft“ doch auf die Existenz Gottes zu verweisen.

Ihr sagt, die Teilnehmer seien „jung“ und „Wissenschaftler“. Diese Spezies hat aber doch gerade den Ruf, sich am wenigsten von allen für Gott und das Geistige zu interessieren …

Die Wissenschaft versucht, die Welt zu beschreiben, und gleichzeitig zu verstehen, welche Rolle die Menschen darin spielen. Ein ehrlicher Wissenschaftler wird sich immer auch mit existentiellen Themen auseinandersetzen: Gott, der Ursprung der Welt, die Evolution u. Ä.

Solche Wissenschaftler sind zum Glück immer zahlreicher. Nach etlichen Jahrhunderten, in denen die Wissenschaften sich weitgehend getrennt voneinander entwickelten, ist die erste Generation des 21. Jahrhunderts anscheinend daran interessiert, zu einer einheitlichen Gesamtschau jenseits der Spezialisierungen zu gelangen.

Diese wachsende Tendenz ist sehr gut bemerkbar in den Internet-Diskussionen. Die meisten werden in Blogs durchgeführt, die unter jungen Wissenschaftlern weit verbreitet sind. Man kann einfach „Existenz Gottes“ oder „Quantenphysik und Freiheit“ bei Google eintippen, und man findet Tausende von Seiten zu diesen Themen.

Aber nicht nur Studenten, auch Professoren und anerkannte Forscher beschäftigen sich mit metaphysischen Fragen. Vor einigen Jahrzehnten war ein Zweifel am Determinismus noch geradezu undenkbar (noch Einstein war davon geprägt, wie sein erwähnter Satz zeigt). Heute ist Indeterminismus eine akzeptierte und stark verbreitete wissenschaftliche Haltung, welche die Türe für das Zusammengehen von Religion und Wissenschaft öffnet. Es ist schön zu sehen, wie auch große Experten in Quantenphysik festhalten, dass es in der Welt Platz für die Freiheit gibt.

Aber widerspricht es nicht dem heutigen Trend, solche Debatten zu führen?

Das ist gewiss der Fall. Trendig ist es heute noch immer, die Welt deterministisch zu erklären. Aber die Position derjenigen, die wie wir für die Freiheit eintreten, wird nicht mehr einfach zurückgewiesen, sondern mit Interesse gehört.

Jedenfalls gehen die wissenschaftlichen Strömungen heute nicht mehr in eine einzige philosophische Richtung, jene des Determinismus. Der Mainstream ist voll von Wirbeln, und das ist die beste Voraussetzung dafür, dass sich die Wissenschaft weiter entfalten kann.

Und wie ist es denn nun also am Ende: Würfelt Gott oder nicht?

Als der Moderator am Ende der Tagung eine Zusammenfassung versuchte, warf er diese Frage in die Runde. Jemand aus dem Publikum antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Aber sicher. Und er hat Spaß daran!“ Die Antwort erinnerte an jenes ludens in orbe terrarum der Bibel (Sprüche 8, 31), und sie brachte das Ergebnis unseres gemeinsamen Nachdenkens auf den Punkt.

Ihr führt die Diskussion über einen Blog weiter ...

Ja. Wer sich dafür interessiert, kann dort die Präsentationen einsehen und an der Debatte teilnehmen: www.scienceandbeyond.net.

Und nächstes Jahr?

Das nächste Seminar wird vom 2. bis 6. Januar 2008 stattfinden, wiederum in London. Das Thema wird sein: “Gibt es in der Neurowissenschaft Platz für die Seele?” Wir werden dort die neurophysiologische Basis der personalen Identität und des freien Willens untersuchen.

Beat Müller