Chronische Radiodermatitis

Die medizinischen Fakten zur chronischen Radiodermatitis

Das Röntgenoderm oder Radioderm – international chronische Radiodermatitis genannt – eine schwere Strahlenkrankheit der Haut. Sie befällt vorzugsweise Ärzte, deren Hände in der Röntgendiagnostik jahrelang ionisierenden Strahlen ausgesetzt gewesen sind. In ersten Linie sind Kinderärzte betroffen, die ihre Patienten unter Durchleuchtungsgeräten festgehalten haben, sowie Traumatologen, die Knochenbrüche unter Röntgenkontrolle eingerichtet haben. Heute tritt die Erkrankung immer seltener auf. Ihre frühere Häufigkeit war durch die sogenannten „Siemens-Kugeln“ bedingt, Röntgenapparate mit mangelhaftem Strahlenschutz, wie sie bis in die 50er und 60er Jahre eingesetzt wurden.

Bei der Genese der chronischen Radiodermatitis wirken mehrere Faktoren zusammen: verwendeter Gerätetyp und emittierte Strahlenart, Expositionsdauer, geometrische Konfiguration und Verteilung des Strahlenbündels, Anzahl der jährlichen Operationen usw.

Die ersten Zeichen eines Röntgenoderms als Berufskrankheit können bereits nach ein bis drei Jahren akkumulativer Belastung auftreten. Bis Tumoren erscheinen (Hautkrebse), vergeht eine längere Latenzzeit.

Das berufsbedingte Röntgenoderm manifestiert sich vorzugsweise an den Händen, bei Traumatologen insbesondere der Linken, weil sie der meisten Strahlung bei Operationen unter Röntgenkontrolle ausgesetzt ist. Zeige-, Mittel- und Ringfinger sind am stärksten betroffen, und zwar auf den Streckseiten wie auf den Seitenflächen.

Zunächst ist die klinische Symptomatologie eher unauffällig: Die Haut auf den Streckseiten der Finger ist trocken und zeigt vermehrte Spiegelung, die Haare fallen aus, die Fingernägel werden brüchig und weisen Längsriefen auf.

Die chronische Radiodermatitis (als Berufskrankheit) läßt sich wie folgt klassifizieren:

- beginnendes (einfaches) Radioderm

- fortgeschrittenes (entwickeltes) Radioderm

- entartetes (kanzeröses) Radioderm

Beim beginnenden Radioderm ist die Haut enthaart, trocken und dünn (infolge der Epidermisatrophie). Geringfügige Traumen führen zu Verletzungen. Es treten Farbveränderungen auf: Hyperpigmentierte Herde, kleine Sugillationen (Blutungen in der Haut), kleine, bindegewebig umgebaute Blutergüsse (organisierte Hämatome). Die Epidermis zeigt schuppige Areale, Rhagaden und Mikroulzerationen. Die Fingerlinien verschwinden.

Beim fortgeschrittenen Radioderm nehmen die Schädigungen zu. Es erscheinen Warzen und Ulzerationen, die sich weiterentwickeln, auch wenn der Patient keiner Strahlung mehr ausgesetzt ist. Es treten hyperkeratotische Plaques auf (verdickte Stellen mit vermehrter Hornbildung), schmerzhafte Hornformationen bilden sich in den distalen Bereichen der Finger-Seitenflächen (in der Nähe der Nägel) sowie an den Fingerkuppen. In dieser Phase läßt die Funktionstüchtigkeit der Hände nach. An den Rändern der Röntgenulzera können vegetierende pseudoepiteliomatöse Hyperplasien entstehen. Teleangiektasien, Areale mit Oberhautatrophie und Dermisfibrose kommen hinzu. Das fortgeschrittene Radioderm verursacht häufig brennende Schmerzen.

Die Neoplasien des entarteten Radioderm entstehen an den Rändern von Ulzerierungen und Keratomen. Die häufigsten histologischen Typen sind das Bowenoide Keratom (Epitelioma in situ), das Plattenepithelkarzinom (Spinaliom) sowie das basozelluläre Karzinom (Basaliom). Liegt ein Ulcus vor, spricht man bei Letzterem auch von einem Ulcus terebrans (bohrendes Ulcus). Diese Befunde entsprechen Spätstadien, die ohne weiteres erst 20 bis 30 Jahre nach der erhöhten Langzeitbestrahlung manifest werden. Klinisch werden sie durch Ulzerationen gekennzeichnet, die sehr schlecht abheilen.

Zu den lokalen Schädigungen treten in einer noch späteren Phase Lymphmetastasen (Ausbreitung über die Lymphwege) und schließlich hämatogene Metastasen in entfernten Organen hinzu (Ausbreitung über die Blutbahn).

Der lokale Prozeß wie auch die regionale bzw. systemische Metastasierung sind äußerst schwierig zu behandeln. Allgemein versucht man, die lokalen Herde durch radikale chirurgische Maßnahmen unter Kontrolle zu bringen: Amputation der betroffenen Finger bzw. größerer Anteile der oberen Extremität, Bestrahlung sowie Entfernung der epitrochlearen oder axillaren Lymphknoten auf der betreffenden Seite. In aller Regel finden die Patienten keine Heilung, selbst wenn die Therapie einsetzt, während sich die Krankheit noch in einem der lokalisierten Stadien befindet.

In der erreichbaren medizinischen Literatur werden keine Spontanremissionen beschrieben, und zwar weder des Radioderms noch der malignen oder prämalignen Prozesse, die zehn Jahre oder länger nach Beginn der Krankheit auftreten. Ebensowenig sind Spontanremissionen bei Patienten bekannt, die aufgrund anhaltender Strahlenbelastung an einem fortgeschrittenen Radioderm erkrankt waren. Dasselbe gilt bei Patienten mit einem Oberhautkarzinom, das sich auf der Basis vorangehender Schädigungen durch ein Röntgenoderm entwickelt hat.